Wenn zwei sich streiten, trifft es den Dritten
Sanierungserlass – Das Dilemma um den Vertrauensschutz und alternative Wege
Der Sanierungserlass ist verfassungswidrig. Die Übergangsregelungen ebenso, entschied der Bundesfinanzhof (BFH) im August 2017. Die Fi-nanzverwaltung reagierte darauf mit einem Nichtanwendungserlass. Nunmehr die erneute Retourkutsche. Der BFH hat erneut bestätigt, dass es keinen Sanierungs-erlass mehr geben dürfe: „Die Wiederholung der Verwaltungsauffassung durch das BMF-Schreiben vom 29. März 2018 (BStBl I 2018, 588) ändert daran nichts.“ Der vorliegende Kommentar analysiert die neue Entscheidung, fasst die aktuelle Lage zusammen und stellt alternative Gestaltungsmöglichkeiten vor.
Das Jahr 2017 begann furios: Mit einem Federstrich beförderte der Bundesfinanzhof (BFH) einen der wichtigsten Restrukturierungsbausteine ins Abseits: Der Sanierungserlass der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben vom 27. März 2003) wurde für verfassungswidrig erklärt. Kommt es als Folge eines Forderungsverzichts zu Sanierungsgewinnen, droht eine erhebliche Steuerlast.
Vertrauensschutz
Die Finanzverwaltung zeigte sich entgegenkommend und wollte die Regelung aus Vertrauens-schutzgründen für Altfälle aufrechterhalten. Der BFH hält mit seiner aktuellen Entscheidung vom 16. April 2018, die nun veröffentlicht wurde, dagegen: „Die im BMF-Schreiben vom 27. April 2017 (BStBl. I 2017, 741) vorgesehene weitere Anwendung des sog. Saniegungserlasses auf Altfälle ist aufgrund des Fehlens einer entsprechenden ge-setzlichen Übergangsregelung mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht vereinbar (Bestätigung der bisherigen BFH-Rechtspre-chung; vgl. Urteile vom 23. August 2017, I R 52/14, BStBl II 2018, 232, und BFH, X R 38/15, BStBl II 2018, 236). Die Wiederholung der Ver-waltungsauffassung durch das BMF-Schreiben vom 29. März 2018 (BStBl I 2018, 588) ändert daran nichts.“ (Beschluss vom 16. April 2018, X B 13/18, veröffentlich am 16. Juni 2018 auf der Homepage des BFH). Mit dem vor wenigen Tagen veröffentlichten Beschluss vom 8. Mai 2018 (VIII B 124/17) hat nun auch der VIII. Senat des BFH diese Linie bestätigt.
Billigkeitsmaßnahmen in Sanierungsfällen, so auch die aktuellen Entscheidungen, können daher nur auf besondere, außerhalb des Sanierungserlasses liegende Gründe des Einzelfalls, insbesondere auf persönliche Billigkeitsgründe, gestützt werden. Diese grundsätzliche Möglichkeit bleibt also weiterhin akzeptiert. Die Herausforderung liegt aber darin, in Abstimmung mit der Finanzverwaltung dieses besondere Billigkeitsbedürfnis herauszuarbeiten.
Auswirkungen auf Finanzgerichtsverfahren
Die Finanzgerichte werden keine Entscheidungen treffen, durch die der Sanierungserlass angewendet wird. In seiner jüngsten Entscheidung stellt der BFH zudem klar, dass die Finanzgerichte Fehler bei der Anwendung des Sanierungserlasses nicht zu Gunsten des Steuerpflichtigen korrigieren können. Die Aufhebung eines Bescheids, mit dem die Finanzverwaltung die Anwendung des Sanierungserlasses abgelehnt hat oder die Erhöhung eines Erlassbetrags durch ein Finanzgericht oder den Bundesfinanzhof ist nicht möglich.
Immerhin sorgt das so genannte Verböserungsverbot (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG) aber dafür, dass ein verfassungswidrig gewährter Erlass auf Grundlage des Sanierungserlasses nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen aufgehoben werden kann.
Zum Stand der Gesetzgebung
Für Sanierungsgewinne, die nach dem 8. Februar 2017 entstehen, wurde eine gesetzliche Neuregelung geschaffen (§ 3a EStG). Diese tritt allerdings erst in Kraft, wenn das Notifizierungsverfahren der EU-Kommission abgeschlossen ist. Dann jedoch gilt die Regelung rückwirkend für alle Sachverhalten nach dem 8. Februar 2017.
Die beihilferechtliche Freigabe war eigentlich schon für den letzten Sommer erwartet worden. Die EU-Kommission reagierte jedoch zunächst mit einem umfassenden Fragenkatalog, der in der Phase der Regierungsbildung zunächst liegen blieb. Mittlerweile ist jedoch schon leichte Resignation zu spüren: Die Kommission stellt immer wieder neue Fragen. Deren Charakter lässt, so hört man, eher auf eine hohe Skepsis schließen.
Unerwartete Hilfe aus Luxemburg
Eine überraschende Wendung gab es an anderer Stelle: Nämlich zur Beihilfethematik im Hinblick auf den Erhalt von Verlustvorträgen bei Anteilsübertragungen im Rahmen einer Sanierung (§ 8c Abs. 1a KStG). Im Insolvenzverfahren „Heitkamp Bauholding“ hat der EuGH die Vorinstanz aufgehoben und entschieden, dass § 8c Abs. 1a KStG keine verbotene Beihilfe darstellt (EuGH, Urteil vom 28. Juni 2018, C‑203/16 P).
Das Interessante daran ist, dass es im Kern um die gleiche Frage ging, die auch die europarechtliche Zulässigkeit des Sanierungserlasses betrifft. Die EU-Kommission sah in der Sanierungsklausel eine Ausnahme gegenüber der allgemeinen Regel, wonach Verlustvorträge durch Anteilsübertragung untergehen. Dadurch würden sanierungsbedürftige Unternehmen gegenüber denjenigen bevorzugt, die sich nicht in einer Krise befänden (Verstoß gegen Art. 107 AEUV). Der EuGH schloss sich hingegen der Argumentation der Bundesrepublik Deutschland an. Die Sichtweise, den Verlustuntergang als Regel-fall anzusehen, verengt den Blick unzulässiger-weise. Insgesamt müsse der Gesamtkontext be-trachtet werden. Dann aber sei eine Bevorzugung bestimmter Unternehmen nicht gegeben.
Alternative Gestaltungsmöglichkeiten
Trotz dieser ermutigenden Entscheidung lässt sich Rechtssicherheit derzeit nur erreichen, wenn man die Entstehung eines Sanierungsgewinns im Vorfeld vermeidet. Hierzu bestehen durchaus Möglichkeiten, von denen wir nachfolgend die wichtigsten vorstellen:
Rangrücktritt
Geht es darum, den Eintritt der Insolvenzreife zu vermeiden, bietet sich statt des Verzichts ein Rang-rücktritt an. Unter Berücksichtigung von § 5 Abs. 2a EStG ausgestaltet, führt der Rangrücktritt nicht zu einem steuerpflichtigen Gewinn. In der Krise wirkt die nachrangige Forderung für Investoren, die sich im Rahmen der Sanierung beteiligen, auch wie Eigenkapital. Wenn die Sanierung gelingt, wird jedoch auch der Rückzahlungsanspruch wieder lebendig.
Forderungsverkauf
Werden sich im Rahmen der Sanierung neue Investoren beteiligen, kann der Verkauf der Darlehensverbindlichkeiten ein eleganter Weg sein. Denn der Investor kann spätere Darlehensrückzahlungen steuerfrei vereinnahmen, soweit er einen entsprechenden Kaufpreis für das Darlehen gezahlt hat. Hier ist ebenfalls ein Rangrücktritt zu vereinbaren. Anders als für einen Drittgläubiger stellt dies für den Investor kein Problem dar. Er wollte ohnehin Eigenkapital zur Verfügung stellen. Allerdings ist dieses Vorgehen wirtschaftlich in den Gesamtkontext einzupassen. Dabei ist auch zu beachten, dass für den Investor ein steuerpflichtiger Gewinn entsteht, soweit er das Darlehen unter Nennwert erwirbt und einer späteren Rückzahlung somit keine entsprechenden Anschaffungskosten gegenüberstellen kann.
Debt-push-up
Der Gesellschafter kann mit einem Gläubiger vereinbaren, das Darlehen auf Schuldnerseite anstelle der Gesellschaft zu übernehmen. Der Schuldner wird ausgetauscht (§ 414 BGB). Steuerlich ist dies als Einlage des Gesellschafters zu werten, die keine Sanierungsgewinne auslöst. Erforderlich ist jedoch, dass der Gesellschafter von vornherein darauf verzichtet, die Gesellschaft für die Schuldübernahme in Regress zu nehmen. Eine solche Gestaltung sollte jedoch durch eine verbindliche Auskunft abgesichert werden, da einige Finanzverwaltungen hier eine abweichende Auffassung vertreten.
Einlage zur Rückzahlung
Denkbar wäre auch, dass der Gesellschafter Kapital einlegt, mit dem anschließend ein Darlehen zurückgezahlt wird. Bei diesem Vorgehen ist abzuwägen, ob dies einen Fall des Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 AO) darstellen kann. Hierzu ist beim BFH ein Revisionsverfahren anhängig (Az. IX R 5/15; vgl. dazu OFD Frankfurt, Verfügung vom 6. Dezember 2017 (S 2244 A‑61-St-215). Daneben wird diese Frage zum Teil auch unter dem Aspekt «verdeckte Gewinnausschüttung» diskutiert.
Asset Deal statt Insolvenzplan
Besonders problematisch ist die derzeitige Rechtsunsicherheit in Insolvenzverfahren, in denen über einen Insolvenzplan eine Sanierungslösung angestrebt wird. Gläubiger werden Sanierungsbeiträgen nicht zustimmen, wenn sie befürchten müssen, dass statt einer Sanierung nur eine Zahlungsver-pflichtung an den Fiskus erreicht wird
Derzeit wird daher in vielen Fällen vom Insolvenzplan (mit Forderungsverzichten) Abstand genom-men und stattdessen der Geschäftsbetrieb im Wege des Asset Deals verkauft. Dabei bleibt der Rechts-träger mit den Darlehensverbindlichkeiten und an-sonsten als „leere Hülle“ zurück und wird anschließend liquidiert und gelöscht, ohne Steuern auszulösen (§ 394 Abs. 1 FamFG).
Problematisch ist jedoch, dass Zulassungen und Genehmigungen mit dem Rechtsträger verbunden sind und nicht im Wege eines Asset Deals übertra-gen werden können. Durch vorherige Ausgliederung des Geschäftsbetriebs in eine Tochtergesellschaft und deren anschließenden Verkauf lässt sich die Übertragung jedoch trotzdem erreichen. Solche komplexen Strukturierungen müssen jedoch im Vorfeld genau geplant und mit verbindlichen Auskünften abgesichert werden.
Ausblick
Das Drama um den Sanierungserlass bleibt spannend. Die Finanzverwaltung akzeptiert gewährte Steuererlasse auf Basis des Sanierungserlasses weiterhin. Der BFH wird von seiner nunmehr gefes-tigten Linie allerdings nicht mehr abrücken und erkennt den Nichtanwendungserlass der Finanzverwaltung nicht an. Damit hat man gerichtlich keine Chance, eine unter Umständen fehlerhafte Ablehnung oder Anwendung des Sanierungserlasses überprüfen zu lassen. Umso mehr Gewicht sollte daher die Argumentation im Einspruchsverfahren haben. Denn die Rechtsbehelfsstelle ist an die Ver-waltungsmeinung gebunden.
Im Hinblick auf die Neuregelung bleibt die lang ersehnte beihilferechtliche Freigabe durch die EU-Kommission abzuwarten. Das Urteil des EuGH zu § 8c KStG setzt ein positives Signal, welches hof-fentlich nicht dazu führt, dass die EU-Kommission ihre Sicht über den Sanierungserlass erneut durcboxen will.
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Bis zur endgültigen Klärung ist daher vorzugswürdig auf die bewährten Strategien zur Vermeidung von Sanierungsgewinnen zurückzugreifen. Weitere Hintergrundinformationen finden Sie auf unserer Sonderseite zu Sanierungsgewinnen und zum Sanierungserlass.