Gesetzentwurf zur Neuausrichtung der steuerlichen Verlustverrechnung
Gestern wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur «Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften» veröffentlicht: Download Gesetzentwurf Inzwischen liegt auch eine erste Stellungnahme der Bundesrats-Ausschüsse vor.
Der Gesetzgeber spricht hier von einer «Neuausrichtung» der steuerlichen Verlustverrechnung. Kommt also ein großer Wurf?
Die Verlustverrechnung war aus fiskalpolitischen Gründen immer weiter eingeschränkt worden. Insbesondere der Handel mit GmbH-Verlustmänteln sollte eingedämmt werden. Den ursprünglich war es möglich, einen operativ erfolglosen Geschäftsbetriebs stillzulegen und die Verluste für andere, profitable Unternehmen nutzbar zu machen.
Derzeitige Rechtslage
Bis heute gilt, dass Verlustvorträge vollständig entfallen, wenn mehr als 50 % der Anteile übertragen werden (§ 8c KStG). Erwerbe innerhalb von 5 jahren werden zusammengezählt. Anteilsübertragungen bis zu 25 % haben keine Auswirkungen. Dazwischen gilt: Der Prozentsatz der übertragenen Anteile wird auch beim Verlustvortrag gekürzt. Eine Übertragung von 37 % führt somit dazu, dass 37 % der Verlustvorträge untergehen. Es gibt Ausnahmen: Für Übertragungen im Konzern und wenn im Unternehmen ausreichend hohe stille Reserven vorhanden sind. Eine dritte Ausnahme für Sanierungsfälle (§ 8c Abs. 1a) ist hingegen aufgrund europarechtlicher Bedenken unanwendbar. Die EU-Kommission sah hierin eine EU-rechtwidrige Beihilfe und hat sich mit dieser Sicth auch in einem ersten Urteil des Europäischen Gerichtshofs durchgesetzt.
Zwei Unternehmensbereiche trifft die Verlustbeschränkung besonders hart: Zum einen «start-ups». Diese haben anfänglich sehr hohe Entwicklungskosten bei geringen Umsätzen. Diese Anlaufverluste können vorgetragen werden, um mit späteren Gewinnen verrechnet zu werden. Klassischerweise lassen sich junge Unternehmen aber nur mit Eigenkapital finanzieren. Bankdarlehen sind für solche riskanten Entwicklungsstrategien regelmäßig nicht zu erlangen. Es kommt also zwingend zu mehreren Finanzierungsrunden und damit früher oder später zum Untergang der Verlustvorträge.
Ebenso betroffen sind Sanierungsfälle. Diese sind ebenfalls auf den Einstieg von Investoren angewiesen. Daneben sehen viele Sanierungskonzepte die Wandlung von Fremd- in Eigenkapital vor (Debt-Equity-Swap). Um den Untergang von Verlustvorträgen zu vermeiden, wurde in der Praxis teilweise eine Gestaltung über einen Debt-Mezzanine-Swap versucht. Sofern der Mezzanine steuerlich noch als Fremdkapital zu qualifizieren ist, kommt es steuerlich nicht zum Anteilseigenerwechsel. Die Finanzverwaltung hat sich jedoch erst im Frühjahr auf die Linie eingeschossen, derartige Gestaltungen nicht mehr anzuerkennen (wir hatten berichtet).
Einführung eines «fortführungsgebundenen Verlustvortrags» (§ 8d KStG‑E)
Der geplante § 8d KStG regelt nach dem derzeitigen Gesetzentwurf, dass der Untergang von Verlustvorträgen nach § 8c KStG nicht greift, wenn der Geschäftsbetieb fortgeführt wird. Es muss ein Antrag gestellt werden.
Der Gesetzentwurf zählt eine Reihe von schädlichen Fällen auf, etwa der Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrages oder die Aufnahme eines zusätzlichen Geschäftsbetriebs.
Der Bundesrat befürchtet, dass der Gesetzentwurf in bestimmten Fällen über sein eigentliches Ziel hinausschießen kann und es doch wieder zu der fiskalisch gefürchteten Nutzbarkeit von Verlustmändeln kommt (vgl. Empfehlungen der Ausschüsse, BR-Ds. 544÷1÷16÷1 vom 21. Oktober 2016). Der Bundesrat schlägt daher eine Reihe von Änderungen vor, die vor allem rückwirkende Begünstigungen im Blick haben.
Daneben begrüßt der Bundesrat aber die Förderung von Wagniskapital und start-ups. Richtigerweise fordert er daher eine Klarstellung, wann es sich um eine unschäftliche Geschäftserweiterung und wann um eine schädliche Aufnahme eines zusätzlichen Geschäftsbetriebs handelt.
Anwendbarkeit
Der neue § 8d KstG‑E soll für alle Übertragungen nach dem 31. Dezember 2015 zur Anwendung kommen – also rückwirkend.
Regelungsabsicht
Mit der Neuregelungen sollen steuerliche Hemmnisse bei der Unternehmensfinanzierung vermieden werden. Solange derselbe Geschäftsbetrieb fortgeführt wird, soll auch eine Verlustnutzung möglich bleiben. Auf die Frage des Anteilseignerwechsels kommt es dann nicht mehr an.
Erstes Fazit: Hilfreich, wenn es einfach handhabbar ist
Für viele Unternehmen kann die Regelung zu einer deutlichen Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten führen. Denn nutzbare Verlustvorträge sind letztlich Steuerersparnis und damit ein Wert, für den ein Investor zahlt. Bei start ups wird die Finanzierungswirklichkeit gewürdigt. Dort geht es nicht ohne Finanzierungsrunden, bei denen Anteilseigner in erheblichem Umfang hinzukommen.
Zweites Fazit: Es gibt auch eine Kehrseite!
Umgekehrt führt der Wegfall des Geschäftsbetriebs aber auch zu einem Untergang der Verlustvorträge, wenn kein Anteilseignerwechsel stattfindet. Da § 8c KStG weiterhin bestehen bleibt, gibt es nun einen weiteren Fallstrick, den man im Auge behalten muss. Der Entwurf von § 8d Abs. 2 Nr. 1 KStG‑E sieht vor, dass die Verlustvorträge untergehen, wenn der Geschäftsbetriebs ruhend gestellt wird. In Sanierungssituationen wird spannend werden, was die Finanzverwaltung aus diesem Kriterium macht.
Vor allem? Was ist ein «Geschäftsbetrieb»? Wünschenswert wäre, dass der Begriff «Geschäftsbetriebseinstellung» präzisiert wird. Hier besteht eine große Gefahr, dass eine spätere Betriebsprüfung zu einem anderen Ergebnis kommt. Andererseits führt die Forderung nach einer unveränderten Fortführung faktisch dazu, dass sich das Unternehmen Marktveränderungen nicht mehr anpassen kann, ohne seine Verlustvorträge zu riskieren. Hier stellt sich die Frage: Wieviel «alter» Geschäftsbetrieb muss noch übrig bleiben, wieviel Neues darf hinzukommen, damit man noch vom «bisherigen Geschäftsbetrieb» im Sinne des Gesetzes (und dessen Absichten, Investitionen und Expansion zu fördern!) sprechen kann?
Ausblick: Verlustbesteuerung in Bewegung
Neben der Neuregelung des § 8d KStG wird im BMF ein Entwurf eines BMF-Schreibens zur «Verlustabzugsbeschränkung bei Körperschaften» diskutiert. Dort veröffentlicht die Finanzverwaltung erstmals Hinweise zu ihrer Interpretation der Ausnahmen für Konzerne und bei stillen Reserven. Ebenfalls erläutert wird die Sichtweise zum unterjährigen Beteiligungserwerb. Hierzu hat das Finanzgericht Münster erst kürzlich entscheiden (Urteil vom 21. Juli 2016, 9 K 2794/15 K,F). Entgegen der Verwaltungsauffassung ließ das Finanzgericht einen Verlustrücktrag zu. Es argumentierte, dass § 8c Abs. 1 KStG nur den Handel mit Verlustmänteln verhindern will. Beim Verlustrücktrag liegt keine personelle Veränderung vor. Wirtschaftlich nutzen durch den Rücktrag nur diejenigen den Verlust, die ihn während ihrer Beteiligungszeit auch «miterwirtschaftet» hatten.
Weitergehende Informationsquellen
Auf den Seiten des Dokumentations- und Informationssystems DIP des Deutschen Bundestages finden Sie unter Deutscher Bundestag: Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften Informationen zum Gesetzgebungsverfahren und die entsprechenden Entwürfe.
Alternativ finden Sie Informationen zum Gesetzgebungsverfahren auch auf der Seite des Bundesrates unter Bundesrat: Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften. Aktuell finden Sie dort neben dem Gesetzentwurf der Bundesregierung auch die Empfehlungen der Ausschüsse (Bundesrats-Drucksache 544÷1÷16 vom 21. Oktober 2016). Die Empfehlungen dienen zur Vorbereitung der Bundesratssitzung am 4. November 2016. Sofern keine unlösbaren Streitpunkte mehr aufkommen ist also damit zu rechnen, dass das Gesetz noch dieses Jahr verabschiedet wird.