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Insol­venz­an­trags­pflicht wird ausgesetzt

"Corona" beschäftigt uns alle und sorgt nicht nur für gesundheitliche Beeinträchtigungen. Auch die Wirtschaft spürt erhebliche Einschnitte: Arbeitskräfte fallen aus, Lieferketten werden unterbrochen, Aufträge storniert.

Um zu vermeiden, dass Unternehmen durch die aktuellen Ereignisse gezwungen sind, einen Insolvenzantrag zu stellen, hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) heute nachmittag bekannt gegeben, dass die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt werden soll:

Bis zum 30.09.2020 setzen wir die Insolvenzantragspflicht für betroffene Unternehmen aus. Mit diesem Schritt tragen wir dazu bei, die Folgen des Ausbruchs des Coronavirus für die Realwirtschaft abzufedern.

Christine Lambrecht zur Insolvenzantragspflicht für durch die Corona-Epidemie geschädigte Unternehmen (Quelle: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Zitate/DE/2020/031620_Insolvenzantragspflicht.html).

Weiter heißt es in der Mitteilung:

Wir wollen verhindern, dass Unternehmen nur deshalb Insolvenz anmelden müssen, weil die von der Bundesregierung beschlossenen Hilfen nicht rechtzeitig bei ihnen ankommen. Die reguläre Drei-Wochen-Frist der Insolvenzordnung ist für diese Fälle zu kurz bemessen. Deshalb flankieren wir das von der Bundesregierung bereits beschlossene Hilfspaket mit einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30.09.2020 für die betroffenen Unternehmen. Mit diesem Schritt tragen wir dazu bei, die Folgen des Ausbruchs für die Realwirtschaft abzufedern.

Der Gesetzgeber hatte schon bei früheren Hochwasserkatastrophen davon Gebrauch gemacht, die Insolvenzantragspflicht durch Gesetzt vorrübergehend auszusetzen bzw. einzuschränken. Wie genau die neue Regelung aussehen wird, ist noch nicht bekannt. Sie dürfte sich jedoch an den früheren Regelungen orientieren. Zum geplanten Inhalt führt die Pressemitteilung des BMJV aus:

Als Vorbild hierfür dienen Regelungen, die anlässlich der Hochwasserkatastrophen 2002, 2013 und 2016 getroffen wurden.

Voraussetzung für die Aussetzung soll sein, dass der Insolvenzgrund auf den Auswirkungen der Corona-Epidemie beruht und dass aufgrund einer Beantragung öffentlicher Hilfen bzw. ernsthafter Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen eines Antragspflichtigen begründete Aussichten auf Sanierung bestehen. Darüber hinaus soll eine Verordnungsermächtigung für das BMJV für eine Verlängerung der Maßnahme höchstens bis zum 31.03.2021 vorgeschlagen werden.

Die vollständige Pressemitteilung finden Sie hier: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/031620_Insolvenzantragspflicht.html


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Zah­lungs­un­fä­hig­keit ohne Bugwellentheorie

Bugwellentheorie verworfen! Am 31. Januar 2018 wurde eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. Dezember 2017 (II ZR 88/16) veröffentlicht, der in der Sanierungsbranche noch Wellen schlagen wird:

Überblick

Im Rahmen der Prüfung, ob eine Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO vorliegt, lehnt der BGH ausdrücklich ab, die so genannte "Bugwellentheorie" anzuwenden.

Daneben hat der BGH deutlich gemacht, in welchem Umfang ein Geschäftsführer nachweisen muss, dass einzelne Verbindlichkeiten aufgrund von Stundung nicht zu berücksichtigen waren, noch nicht fällig oder gar nicht ernsthaft eingefordert waren.

Die Entscheidung enthält schließlich auch noch einen Hinweis, wann kurzfristig aktivierbare Forderungen einbezogen werden dürfen.

Leitsätze der Entscheidung vom 19.12.2017 (II ZR 88/16)

Die Leitsätze der Entscheidung lauten:

1. Einen vom Insolvenzverwalter zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO aufgestellten Liquiditätsstatus, der auf den Angaben aus der Buchhaltung des Schuldners beruht, kann der Geschäftsführer nicht mit der pauschalen Behauptung bestreiten, die Buchhaltung sei nicht ordnungsgemäß geführt worden. Er hat vielmehr im Einzelnen vorzutragen und ggf. zu beweisen, welche der in den Liquiditätsstatus eingestellten Verbindlichkeiten trotz entsprechender Verbuchung zu den angegebenen Zeitpunkten nicht fällig und eingefordert gewesen sein sollen.

2. Bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO anhand einer Liquiditätsbilanz sind auch die innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) einzubeziehen.

Den vollständigen Wortlauf der Entscheidung finden Sie auf der Homepage des Bundesgerichtshofs.

Nicht ernsthaft eingefordert

Zur Frage einer "nicht ernsthaft eingeforderten Forderung" schreibt der BGH (Rz. 16f.):

Zwar setzt Fälligkeit einer Forderung im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO über die Fälligkeit nach § 271 BGB eine Gläubigerhandlung voraus, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt (sog. "ernsthaftes Einfordern"). Die Übersendung einer Rechnung ist hierfür ausreichend, aber nicht erforderlich. Das Merkmal des "ernsthaften Einforderns" dient lediglich dem Zweck, solche Forderungen auszunehmen, die rein tatsächlich - also auch ohne rechtlichen Bindungswillen oder erkennbare Erklärung - gestundet sind.

Danach ist hier bereits aufgrund der entsprechenden Einbuchung der jeweiligen Verbindlichkeit in der Buchhaltung der Schuldnerin auch ohne Vorlage einer Rechnung von einem ernsthaften Einfordern der Gläubiger auszugehen. Die vom Kläger behaupteten Verbindlichkeiten sind in der Buchhaltung der Schuldnerin eingepflegt und als (spätestens) zum Stichtag fällig ausgewiesen. Im Verhältnis zu dem für die ordnungsgemäße Rechnungslegung zuständigen Geschäftsführer kann die Gesellschaft - und damit hier auch der Kläger - davon ausgehen, dass der Geschäftsführer die Bücher so geführt hat oder durch Angestellte hat führen lassen, dass sie ein richtiges und vollständiges Bild von allen Geschäftsvorfällen vermitteln, die im Betrieb angefallen sind. Stützt sich die Gesellschaft im Prozess gegen ihren Geschäftsführer auf vorhandene Buchungen und Buchungsunterlagen, obliegt es daher dem Geschäftsführer, eine etwaige Unrichtigkeit der Buchhaltung darzulegen und zu beweisen.

Zahlungsunfähigkeit

Zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit schreibt der BGH (Rz. 33ff.):

Zahlungsunfähigkeit und nicht nur eine vorübergehende Zahlungsstockung liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, sich innerhalb von drei Wochen die zur Begleichung der fälligen Forderungen benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen und die Liquiditätslücke auf unter 10 % zurückzuführen.

In die zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit aufzustellende Liquiditätsbilanz sind auf der Aktivseite neben den verfügbaren Zahlungsmitteln (sog. Aktiva I) die innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel (sog. Aktiva II) einzubeziehen und zu den am Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva I) sowie den innerhalb von drei Wochen fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) in Beziehung zu setzen.

Auch die innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) sind bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen.

Diese Berücksichtigung der Passiva II war bislang umstritten gewesen. Diesen Streitstand stellt der BGH in seinen Urteilsgründen umfassend dar.

Ablehnung der Bugwellentheorie

Als Konsequenz lehtn der BGH damit die Anwendung der so genannten "Bugwellentheorie" ab (Rz. 51):

Auch der Einwand, im Interesse der Gläubiger bestehe gerade kein Anlass zur Annahme von Zahlungsunfähigkeit bzw. zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, wenn der Schuldner zwar eine "Bugwelle" von Verbindlichkeiten vor sich herschiebe, diese aber ausnahmslos in drei Wochen erfüllen könne, trägt nicht. Dem steht das erklärte Ziel der Insolvenzordnung entgegen, durch eine frühzeitige Verfahrenseröffnung eine geordnete und gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger sicherzustellen und im Interesse des Rechtsverkehrs eine fortgesetzte Teilnahme von Schuldnern mit erheblichen Liquiditätsschwierigkeiten am Rechts- und Geschäftsverkehr zu verhindern.


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20. September 2022 - Seite 1 von 1